Brokatpapiere können als die ersten Erzeugnisse des Prägedrucks angesehen werden. Das um 1700 in Augsburg entwickelte Verfahren zur Herstellung von Brokatpapieren geht, historisch betrachtet, vor allem auf den Prägedruck bei Bucheinbänden zurück, dessen wesentliches Kennzeichen die Reliefbildung ist. Buchbinder benutzten bereits im 16. Jahrhundert neben Stempeln für manuelle Prägungen auch größere Platten aus Messing, die sie mithilfe von Buchbinder- oder Buchdruckpressen in das Einbandmaterial prägten. Deren Kräfte reichten allerdings maximal für Flächen von etwa 20,0 × 20,0 cm aus, während Metallplatten zur Herstellung von Brokatpapieren Formate um 35,0 × 45,0 cm aufwiesen. Die wesentliche Weiterentwicklung des Prägedrucks auf Bucheinbänden bestand somit darin, dass mit der Kupferdruckpresse ein Gerät zur Verfügung stand, mit dem ausreichend Druck auf die großen Druckplatten aus Kupfer oder Messing erzeugt werden konnte. Die als Relief auf verschiedene Buntpapiere zu prägenden Motive wurden circa 2–3 mm tief in das Metall graviert. Für die Vergoldung beziehungsweise Versilberung wurden, wie beim Prägedruck auf Bucheinbänden, Schlagmetallfolien aus Messing oder Zinn benutzt. Um die Reliefbildung beim Druckvorgang zu ermöglichen, wurde zudem ein Druckfilz aufgelegt. Somit ergab sich bei der Herstellung von Brokatpapieren in der Kupferdruckpresse eine Schichtung aus Druckplatte, Schlagmetallfolien, Trägerpapier und Druckfilz.
Historische Aufzeichnungen zum genauen Herstellungsablauf sind leider ebenso wenig erhalten wie originale Druckplatten. Die einzige von Albert Haemmerle in «Buntpapier»[1] beschriebene Druckplatte aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gilt heute als verschollen. Erhalten sind dagegen zahlreiche Brokatpapiere, aus deren genauerer Betrachtung sich ebenfalls Erkenntnisse zur Herstellung und Verwendung von Druckplatten ergeben können. In der Sammlung Schönborn befinden sich einige Beispiele dafür, von denen an dieser Stelle nur einzelne aus technischer Sicht bemerkenswerte Brokatpapiere betrachtet werden sollen, die von einer Art «Puzzletechnik» bei der Druckplattenherstellung zeugen. [2] Es handelt sich dabei um ein Rationalisierungsverfahren, das bereits für vier bedeutende frühe Hersteller von Brokatpapieren nachgewiesen werden konnte. Für die Identifizierung und Datierung von Brokatpapieren ist es daher von Bedeutung. Als Anwender des Verfahrens konnten bisher die in Augsburg ansässigen Verleger Abraham Mieser (um 1676–1742), Boas Ulrich (um 1644–1710) und Georg Christoph Stoy (1670–1750) sowie der in Fürth tätige Johann Köchel (um 1682–1726) festgestellt werden.
Ursächlich für die Entwicklung der Puzzletechnik waren vermutlich in erster Linie wirtschaftliche Erwägungen. Für den Verkauf von Brokatpapieren war es von Vorteil, eine möglichst breite Palette verschiedener Motive anbieten zu können. In der Regel wurde für jedes Motiv eine eigene Druckplatte aus Metall angefertigt, was aber mit entsprechend hohen Kosten verbunden war. Parallel zu dieser Vorgehensweise wurde daher ein Verfahren zur Druckplattenherstellung entwickelt, bei dem mehrere Motivvarianten zu deutlich niedrigeren Kosten erzeugt werden konnten. Dafür eigneten sich insbesondere die in den ersten Jahrzehnten der Brokatpapierherstellung noch sehr beliebten Rankenmotive mit eingestreuten Darstellungen von wilden Tieren, Jägern, Vögeln, Putten, Zwergen usw. Die praktische Umsetzung der Technik erfolgte so, dass zunächst eine Basisdruckplatte hergestellt wurde, in die ein Rankenmotiv gestochen wurde. Anschließend wurden einzelne Bereiche der Platte, die regelmäßig auf der Fläche verteilt waren, komplett aus der Basisdruckplatte herausgeschnitten (vgl. Abb. 1). Die so entstandenen Aussparungen konnten in Form, Größe und Anzahl stark variieren. Quadratische Aussparungen kamen genauso vor wie rechteckige, runde und ovale. Für die Herstellung eines Brokatpapiers aus dem Verlag des Johann Mieser aus Augsburg wurden 36 kleine Einlegestücke in die Basisplatte eingelegt, was allerdings eine ungewöhnlich hohe Zahl ist. In der Regel befanden sich etwa ein Dutzend Aussparungen auf den entsprechenden Basisplatten. Passend zu den Aussparungen konnten beliebig viele Einlegestücke mit Darstellungen von unterschiedlicher Thematik gefertigt werden. Die so entstandenen Motivsätze wurden auch miteinander kombiniert, wodurch sich weitere Varianten ergaben. Auf diese Weise hergestellte Brokatpapiere sind manchmal anhand deutlicher Umrisse von Einlegestücken relativ leicht erkennbar, der weitaus größte Teil kann allerdings nur mithilfe vergleichender Studien der Puzzletechnik zugeschrieben werden. Letzteres soll hier am Beispiel von Erzeugnissen des Brokatpapierverlegers Johann Köchel aus Fürth erläutert werden.
Abb. 1: Rekonstruktion der Basisplatte, Inv. Nr. 25/26 (Abb. 2) und 181/182 (Abb. 3)
Abb. 2: Johann Köchel, Inv. Nr. 25/26
Abb. 3: Johann Köchel, gleiche Basisplatten wie Abb. 2, Variante in den Einlegestücken, Inv. Nr. 181/182
Die Abbildungen 2 und 3 zeigen jeweils die rechte und linke Hälfte zweier Brokatpapiere aus dem Verlag Johann Köchel mit Abdrucken von derselben Basisplatte, allerdings jeweils mit verschiedenen Einlegestücken. Abbildung 1 zeigt eine Rekonstruktion der von Köchel zum Druck verwendeten Basisplatte, sie hat 13 Aussparungen für ovale Einlegestücke. Um die Orientierung zu erleichtern, werden die dort angegebenen Positionsnummern der einzelnen Einlegestücke in den folgenden Beschreibungen und Zitaten in Klammern mitangegeben.
Die Abbildung 2 zeigt ein Brokatpapier, das Albert Haemmerle in seinem Standardwerk «Buntpapier» im beigefügten Verzeichnis von Brokatpapieren unter der Nr. 72 so beschreibt: „Kleines, feines, dichtstehendes Rankenwerk aus Arabesken mit Blüten und Früchten, durchsetzt mit vielen Tieren, Vögeln etc.; als Mittelstück des Blattes ein Segelschiff (1); rechts davon am Rande ein doppelschwänziger Triton (6), rechts oben eine Art Sägefisch (5), rechts unten eine Seeschlange (7), links über dieser ein Walfisch (4). Unten in der Mitte Amor auf Delfin reitend, nach rechts (2)…»[3]
Haemmerle, der hier zwar fast alle Einlegestücke der rechten Blattseite inklusiv des großen Einlegestücks in der Blattmitte (1) beschreibt, hat dennoch die Puzzletechnik seinerzeit nicht erkannt. Im Wissen um diese Technik können daher heute einige der von ihm noch unter der Rubrik «Anonyme Brokatpapiere» verzeichneten Blätter nachträglich ihren Verlegern zugeordnet werden. Haemmerle hat das zweite hier abgebildete Brokatpapier zwar aufgrund einer vorhandenen Signatur Johann Köchel zuweisen können, behandelt es aber in seinem Verzeichnis unter der Nummer 73 als eigenständiges Motiv. Dort heißt es: «Kleines, dichtes Arabeskenornament, durchsetzt mit kleinen Puttos (z. B. rechts oben Putto am Butterfass (5), rechts unten Putto mit Fahne (7), Vögeln (z. B. Eule), Säugetieren etc…»[4] Die hier genannte Eule ist ein Teil der Basisplatte und auf den Abbildungen 1, 2 und 3 neben dem oberen rechten Rand der Aussparung auf Position 4 erkennbar. Gleiches gilt für das kleine Eichhörnchen rechts neben der Eule und letztlich für alle anderen Darstellungen im Bereich der Basisplatte. Ihr Abdruck ist in beiden Fällen absolut identisch. Unterschiede finden sich nur im Bereich der Einlegestücke.
Auf dem Blatt mit den Seeungeheuern (Abb. 2) zeigt das große ovale Einlegestück in der Mitte (1) ein Segelschiff, während bei der Blattvariante mit den Putti (Abb. 3) in diese Position ein rein ornamental geschnittenes Einlegestück gleicher Form und Größe gelegt wurde. Das Einlegestück auf Position 7 unten rechts zeigt in der ersten Ausführung eine Seeschlange, in der Variante zeigt es einen Putto mit Fahne. Auch auf allen anderen Positionen wurden die «maritimen» Darstellungen gegen Darstellungen von Putten ausgetauscht. Von diesem Brokatpapier sind bisher nur die zwei hier beschriebenen Motivvarianten bekannt und für den Verlag Johann Köchel konnte nur diese eine Basisplatte festgestellt werden. Die Augsburger Verleger Abraham Mieser und Boas Ulrich haben dagegen in der Frühzeit der Brokatpapierherstellung um 1700 ausgiebiger von der Puzzletechnik Gebrauch gemacht. Sie besaßen jeweils mehrere Basisplatten mit unterschiedlichen Motiven und dazu jeweils mehrere Sätze aus Einlegestücken. Entsprechend haben sich ihre Brokatpapiere in Puzzletechnik bis heute noch relativ zahlreich und in vielen Varianten erhalten. Auch in der Sammlung Schönborn befinden sich einige Beispiele dafür. Neben den drei bisher genannten Verlegern konnte das hier beschriebene Verfahren nur noch für den Augsburger Verleger Georg Christof Stoy nachgewiesen werden. Er hat jedoch, genau wie Johann Köchel, nur in geringem Umfang davon Gebrauch gemacht. Die Abbildung 4 zeigt die Rückseite der linken Hälfte eines Brokatpapiers von Stoy, bei dem ebenfalls die Puzzletechnik zur Anwendung kam. Man kann hier recht deutlich sehen, dass sich der Druck der Kupferdruckpresse im Bereich der Basisplatte auf eine größere Fläche verteilt hat als im Bereich der ovalen Einlegstücke. Dadurch hat sich der Abdruck der Basisplatte nicht so stark in das Papier geprägt wie die Abdrucke der kleinen ovalen Einlegestücke. Das auf der Blattrückseite durchscheinende Motiv sieht den hier beschrieben Brokatpapieren von Köchel zum Verwechseln ähnlich und kann nur über kleine Details von ihnen unterschieden werden. So ist auf der Rückseite des Blattes von Stoy beispielsweise auch eine Eule zu sehen, allerdings befindet sich daneben kein Eichhörnchen, wie es auf den Brokatpapieren von Köchel der Fall ist. Derartige Ähnlichkeiten sind bei Brokatpapieren keine Seltenheit, weshalb ihre Identifizierung und Zuschreibung an einen Verleger nicht immer einfach ist.
Abb. 4: Rückseite der Inv. Nr. 130 mit Hervorhebung der Position von zwei der insgesamt neun Einlegestücken
Um 1725 gerieten Rankenmotive mit eingestreuten Darstellungen verschiedenster Art allmählich aus der Mode, womit auch die Puzzletechnik – nach gegenwärtigem Erkenntnisstand – in den Jahren danach nicht mehr oder nur noch selten zur Anwendung gelangte. Blätter dieser Art können somit zumindest, was ihren Herstellungszeitpunkt betrifft, in die Frühzeit der Brokatpapierherstellung zwischen 1700 und 1725 datiert werden. Ihre Verarbeitung kann allerdings unter Umständen erst sehr viel später erfolgt sein, was besonders für Brokatpapiere des Verlags Johann Köchel gilt. Dessen Produkte wurden noch Jahrzehnte nach seinem Tod verarbeitet.
Matthias Hageböck